Authentizität – das Schlagwort der aktuellen Trainergeneration. Aber nicht nur das: Lebensmittel sollen authentisch sein, Häuser und sogar Zigaretten. Die Lust auf Echtheit ist unbändig. Und das ist gut so.
Wir alle wollen kein E420 im Essen – auch nicht, wenn Menschen vor uns sprechen.
Die eigenartige Wende der Authentizität
Wie so oft hat das Sinnvolle aber eine eigenartige Wende genommen. Die Trainerschwemme nimmt kein Ende, tausende kommen und gehen. Und sie erkennen den Trend: „Wir sind authentisch.“ Keine Homepage, kein Folder kommt ohne dieses Wunderwort aus. Und auch in vielen Ausschreibungen von Unternehmen ist es explizit enthalten.
Für unerfahrene Trainer ist das wahnsinnig praktisch: Wenn man nämlich sagt: „Wir sind einfach ganz wir selbst.“ Dann macht das wenig Arbeit. Und noch besser: Es braucht keine Tools, es tut niemandem weh und ist unendlich sympathisch. Und für faule Seminarteilnehmer, die einen weiteren Tag in der Komfortzone verbringen wollen, ist es das Paradies auf Erden. Man lehnt sich entspannt zurück und weiß: „Das wird heute keine Arbeit.“
Um sinnvoll an Authentizität zu arbeiten, müssen wir einen Blick darauf werfen. In der Naturwissenschaft ist die Sache nämlich relativ einfach: Eine Goldmünze gilt als „echt“, wenn wir sie einem chemischen Test unterzogen haben, der positiv verläuft. Ein Kunstwerk kann aufgrund des Alters und Expertenmeinung als „echt“ eingestuft werden.
In der menschlichen Wahrnehmung ist die Sache aber viel komplizierter. Die Wikipedia bietet eine wunderbare Definition, was Authentizität bedeutet: „Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden. Die Scheidung des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten kann als spezifisch menschliche Form der Welt- und Selbsterkenntnis gelten.“
Der springende Punkt in dieser hervorragenden Definition ist die Formulierung „in Übereinstimmung befunden werden.“ Authentisch wirken heißt, dass das Dargestellte mit dem Empfundenen in Einklang empfunden wird.
Und hier müssen wir einen Bogen spannen: Wie benehmen Sie sich denn, wenn Sie mit einem kleinen Kind oder Ihrem Haustier spielen? Bestimmt authentisch. Wie sind Sie, wenn Sie mit Ihrem besten Freund reden oder Ihrer besten Freundin Ihr Herz ausschütten? Anders. Aber genauso authentisch! Und wie benehmen Sie sich, wenn Sie ein Meeting in Ihrer Firma haben? Wohl auch authentisch, aber wieder anders.
Sie sehen also: Wir spielen den ganzen Tag Rollen. Und wir können sehr wohl in verschiedenen Rollen jeweils authentisch sein.
Und hier ist die Lösung: Wenn Sie also bewusst Sprechen, muss auch eine Entscheidung fallen, welche Ihrer Rollen für die jeweilige Situation authentisch ist und damit authentisch wirkt (siehe Redecoaching).
Authentizität heißt also nach meiner Definition: Die wahrgenommene Übereinstimmung aus innerem Vorgang und äußerer Darstellung der jeweiligen Situation angepasst. Oder einfach gesagt: Sie wirken im Augenblick authentisch.
Authentizität – Was braucht man dafür ?
Ein klares Verständnis dafür, dass man verschiedene Rollen einnimmt, wie man in welcher Rolle handelt und fühlt. Und nun die wichtigste Entscheidung: Welche dieser Rollen nehmen Sie als Grundlage für Ihren Auftritt? Welchen Aspekt von sich zeigen Sie? Wie stellen Sie sich dar? Und nicht wie verstellen Sie sich!
Ja: Das ist Arbeit. Damit schließt sich der Kreis. Wenn Ihnen jemand sagt, es ist ganz einfach, bei einem Auftritt zu wirken, indem Sie nur einfach Sie selbst sind: Seien Sie misstrauisch!
In meinem nächsten Blog finden Sie konkrete Übungen, um authentisch zu wirken.
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