Das mediale Hinrichtungsinterview der Bandion-Ortner

Ein Interview der ehemaligen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im „Profil“ lässt gerade die Wogen hochgehen. Der Kernsager (journalistisch logisch auch die Schlagzeile) : In Saudi-Arabien „ wird nicht jeden Freitag geköpft.“ Hier geht’s zum Interview.

Das wird als Verharmlosung der Todesstrafe ausgelegt.

Die wichtigsten Regeln bei einem Interview

Nun wollen wir diese Gelegenheit nutzen, um für das Medientraining zu lernen und die wichtigsten Regeln anhand dieses Interviews in Erinnerung zu rufen.

Wenn ich jemanden frage, vor welchen Interviews er die meiste Angst hat, sagt man mir meistens in dieser Reihenfolge: „TV, Radio, Print.“ Wissen Sie, wovor ich – im Sinne meiner Kunden – den meisten Respekt habe. Vor letzterem. Dieses Interview ist ein perfektes Beispiel.

Kameras und Mikrofone haben nämlich einen empfundenen Nachteil: Sie machen Stress. Das aber hat einen Vorteil: Wachheit. Und in Printinterviews verfallen viele Interviewpartner in den Irrglauben, man würde sich in einem Kaffeeplauscherl befinden. Das ist aber falsch: Ein Interview ist ein Interview. Mit all seinen Regeln und Fallen. Es ist kein Gespräch im herkömmlichen Sinne. (Vor allem dann nicht, wenn es um kontroversielle Themen geht.)

Das „Profil“ hat gerade das Originalaudio zur Verfügung gestellt. Das klingt so.

Frage: „… und jeden Freitag Nachmittag nach dem Freitagsgebet öffentliche Hinrichtungen…“

Bandion-Ortner unterbricht: „Na, des is net jeden Freitag. Des is (lacht) a Bledsinn. Des is (lacht noch mehr) a Blödsinn. Aber wurscht: I bin a dagegen.“

Frage: „60 hats gegeben im vergangenen Jahr…“

Bandion-Ortner unterbricht: „Bin ich auch dagegen. Natürlich. Bin gegen jede Todesstrafe, oder… logisch.“

Ich gebe das deshalb hier im Dialekt wieder, weil es einiges zeigt.

1. Im geschriebenen Interview fehlt uns das, was wir Menschen unglaublich schnell entschlüsseln. Der Sound des gesprochenen Wortes, der Subtext.

Dazu kommt, dass im Printbereich grammatikalisch umgeschrieben wird. Aus dem Satz oben wird also „Es wird nicht jeden Freitag geköpft.“ Diese Verknappung minus hörbare Botschaft wird dann schon recht radikal.

2. Es wird aus dem Zusammenhang gerissen, immer. Das kann ich nicht oft genug sagen und schreiben. Und dagegen gibt es ein einziges Mittel. Etwas nicht zu sagen. Ich habe von über 10.000 Menschen, die ich trainiert habe, noch nie gehört, dass sie ein Problem mit etwas hatten, dass sie nicht gesagt haben. Nie. Aber von sehr vielen, dass sie ein Problem mit etwas hatten, das sie auch gesagt haben. Und dann ist es egal, ob das restliche Interview noch so gut war.

3. Daraus folgt die nächste und eine der wichtigsten Regeln wacher Kommunikation im Allgemeinen und sicherer Interviews im Speziellen. Wir haben es als Kinder schon gelernt: „Erst denken, dann reden.“

Womit wir bei einem wichtigen Detail aus diesem Interview sind. Die Journalistin stellt eine Frage. Und Frau Bandion-Ortner macht etwas, das immer gefährlich ist: Sie unterbricht. Ich behaupte, das kaum jemand 0.5 Sekunden nach Beginn einer so heiklen Frage im Stande ist, sofort die richtige Antwort zu haben. In diesem Fall: Ausreden lassen. Währenddessen nachdenken. Und dann erst reden. Wie man das mit Hilfe der „geteilten Aufmerksamkeit“ bewältigt, ist in einem Training durchaus erlernbar.

4. Jetzt sehen und hören wir uns den Satz selbst an. Wir haben auf der reinen Textebene: „Es stimmt nicht, dass jeden Freitag hingerichtet wird“ (das mag an sich korrekt sein). Da sie aber das „Das ist ein Blödsinn“ mit einem Lachen begleitet, lautet die Interpretation: „Das ist ja nicht so schlimm wie jeden Freitag.“ Und dann sagt sie auf der Textebene: „Aber wurscht, i bin a dagegen, ja…“ Auf der Wirkungsebene aber: „Ich bin mit meinem Kopf und Herzen nicht bei der Sache.“

Bei einem so wichtigen Statement muss man sich Zeit lassen. Und dann mit aller Inbrunst, Klarheit und Emotion sagen, dass man sich distanziert. Jede Abweichung wird hier als Fehltritt interpretiert.

5. Man kann noch soviel autorisieren lassen – so einen Sager lässt sich kein Journalist entgehen. Das ist das klassische Ende jeder Autorisierung: Wenn man damit die journalistische Geschichte killen würde.

6. Der Kontext zählt. Durch den Vergleich der Abaya mit einem Talar ziehen die Leser einen roten Faden durch das Interview. Und der heißt: Verharmlosung.

Kurz zusammengefasst

+ Unterschätzen Sie Interviews für Printmedien nicht!

+ Was Sie nicht geschrieben haben wollen, das sagen Sie auch nicht!

+ Erst denken, dann reden.

+ Inhaltsebene und Wirkungsebene müssen übereinstimmen.

+ Autorisieren nützt irgendwann auch nicht mehr.

+ Journalist und Leser interpretieren auch den Kontext.

Letztlich müssen wir wieder einmal festhalten: Bei der gezielten Kommunikation (also bei jedem Sprechen, das kein Dahinplaudern ist), muss immer das Gehirn eingeschaltet sein. Und zweitens: Vergessen Sie nicht die Vorbereitung. Manche Fragen im Interview sind absehbar.

Ob Frau Bandion-Ortner sich tatsächlich distanziert oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Dass die Distanzierung nicht ausreichend hörbar war, hat das Problem erzeugt.

Und darüber hinaus gilt auch hier: Wer noch nie einen Fehler gemacht hat, möge den ersten Stein werfen. Es gibt jetzt für Claudia Bandion-Ortner nur einen einzigen Weg: Raus aus der Defensive und klarstellen. Und zwar möglichst schnell.

 

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